Rede der Seebrücke bei „Ein Europa für alle“, Hamburg

Ein Europa für alle –
was für ein schönes, was für ein kraftvolles Motto für unsere Demonstration. So kurz kurz, so einfach, so selbstverständlich – aber gleichzeitig ein riesiges Versprechen, eine große Vision, eine radikale Forderung.
Ein Europa – für alle.
Denn machen wir uns nichts vor. Die real existierende Europäische Union ist nicht dieses Europa, von dem wir träumen. Es ist ein Europa für wenige, für die Reichen und Besitzenden, für die mächtigen Staaten des Nordens, nicht für die armen Menschen hierzulande und schon gar nicht für diejenigen in Griechenland oder Bulgarien, wo die Jugendlichen keine Jobs und die Älteren immer weniger Rente bekommen. Ein Europa des Sozialabbaus, der Klimakatastrophe, der Aufrüstung, der globalen Ausbeutung.
Das größte und schändlichste Verbrechen des EU-Europas aber findet tagtäglich an den Außengrenzen statt. Zehntausende sind hier ertrunken, mehr als 500 schon in diesem Jahr. Dieses Sterben im Mittelmeer ist kein unvermeidliches Unglück, sondern das Resultat einer gezielten Politik der Abschreckung und des Sterbenlassens, ja der aktiven Verhinderung von Seenotrettung.
Die Europäische Union feiert sich gern für ihren Einsatz für Frieden und Menschenrechte. Aber es gibt nichts zu feiern angesichts der Toten im Mittelmeer und angesichts der Mitverantwortung der EU für die weltweiten Fluchtursachen: Mitverantwortung durch Rüstungsexporte, durch eine Handelspolitik, die das Elend in vielen Ländern des Südens verschlimmert oder durch die Tatenlosigkeit beim Klimaschutz. Der Friedensnobelpreis, den die EU 2012 erhalten hat, ist eine Farce und hätte längst schamvoll zurückgegeben werden müssen.
Wir helfen dem Kampf gegen Rechts nicht, wenn wir über diese Zusammenhänge schweigen und wenn wir ein falsches Bündnis schließen mit den Neoliberalen und den Parteien der Mitte. Die AfD gab es noch gar nicht, da hatten die europäischen Regierungen, also Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, manchmal auch Grüne aus EU-Europa längst eine Festung gemacht, vor deren Mauern die Menschen ertrinken.
Treten wir also ein für ein anderes Europa, ein Europa nicht für wenige, sondern für alle:
• Ein Europa, in das Menschen nicht mit Schlauchbooten, sondern mit Fähren und Flugzeugen kommen können.
• Ein Europa, in dem Nationalität und Hautfarbe keine Rolle spielen und in dem niemand in Lagern leben muss.
• Ein Europa, in dem alle die gleichen Rechte haben, egal ob schon ihre Großeltern hier gelebt haben oder sie gerade erst angekommen sind.
• Ein Europa, in dem niemand Angst haben muss, weder vor rassistischer Diskriminierung, noch vor sozialem Elend oder davor, zurück in Not und Bürgerkrieg geschickt zu werden

Dies ist also weniger ein Aufruf zur Wahl als vielmehr ein Aufruf zum Protest, zum Widerstand und zum Ungehorsam.
Der beginnt nicht in Europa, sondern auch hier vor Ort:
Beenden wir also die Abschiebungen aus unserer Stadt, über unseren Flughafen! Stoppen wir die rassistischen Polizeikontrollen auf Hamburgs Straßen! Sorgen wir für die Aufklärung des gewaltsamen Todes von William Tonou-Mbobda durch Security-Mitarbeiter des UKE!
Für eine solidarische Stadt, ein offenes Europa und eine Welt ohne Grenzen.

Christoph Kleine, Seebrücke Hamburg
Demonstration „Ein Europa für alle – Deine Stimme gegen Nationalismus“, 19.5.2019, Hamburg, Rathausmarkt